22.02.2012 12:22
Präsident der Herzen
Kolumne auf stern.de vom 18. Februar 2012

Erst sprach an diesem Freitag alles gegen einen Rücktritt. Zumal SPD-Generalsekretärin Nahles sich für einen Rücktritt aussprach. Jetzt ist Wulff weg. Aber insgesamt ist die Stimmung gut im Lande. Was auch am Interimsnachfolger Seehofer liegen mag. Der CSU-Chef ist die moralische Stabilität in Person: Immer beziehungsweise wieder bei der ersten Ehefrau, Haus längst abbezahlt, und Filme kennt er nur aus dem Fernsehen. Und Veronica Ferres grüßt Seehofer auch nur, wenn es absolut unvermeidbar ist. Im Prinzip passt die Präsidentenposse gut rein in die Zeit. Das deutsche Volk hat ein gutes Gespür, dass viele Aufreger der letzten Wochen und Monate eigentlich unnötig sind. Ob Bundespräsident, Europa oder hohe Heizölpreise, so richtig brauchen tut das niemand. Dementsprechend egal ist der Bevölkerung auch, ob und wer als neuer Wulff gewählt wird. Das Amt hat außer dem Sold nicht viel zu bieten. Das spricht für eine idealistische Grundhaltung der Familie Wulff. Christian Wulff hat dennoch versucht, gar nicht so sehr ein deutscher, sondern vor allem ein europäischer Staatsmann zu sein.
Sein Amtsverständnis würde in Italien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien mit viel Verständnis und Wohlwollen aufgenommen werden. In diesen Ländern würde er eher als zu bescheidener Sonderling gelten, weil er gar nicht so viel Kapital aus seinem Amt geschlagen hat. Laut gewichtiger Medien ist das Amt des Bundespräsidenten ein Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen. Ein Seismograph verursacht keine Erdbeben, er kündigt sie lediglich an. Wenn er nicht gerade Mittagspause hat. Die gesellschaftliche Veränderungen in Europa liegen auf der Hand: Es gibt eine Handvoll Verlierer und eine Handvoll Gewinner. Die einen wollen die anderen maßregeln, die anderen wollen die einen über den Tisch ziehen. Und am liebsten wollen alle auf Kosten anderer sich ein schönes Leben machen. Gerade in Bezug auf Letzteres wollte Wulff zeigen, dass das im kleinen Stil machbar ist, ohne dass die Kosten allzu hoch sein müssen. In anderen EU-Ländern kassieren längst Verstorbene noch jahrelang Renten und Pensionen. Und Sehende beziehen satte Zuwendungen von der Blindenhilfe. Wulff aber lebt, wollte noch gar keine Pension, und seine Brille hat er selber bezahlt. Dennoch musste er hinschmeißen.

Was genau ist der Vorwurf der Staatsanwaltschaft? Paar vorgestreckte Übernachtungen und eine Bürgschaft für eine Briefkastenfirma.
Eigentlich eine mickrige Bilanz. Und eine harmlose dazu. Dass die Bürgschaft nur ein Papiertiger ist, liegt auf der Hand. Denn eine Briefkastenfirma dient ja lediglich als Postadresse. Da wird weder gewirtschaftet noch produziert noch sonst irgendetwas. Folglich braucht so eine Firma auch keine Fremdmittel, für die eine Bürgschaft einstehen könnte. Wenn man da beispielsweise bedenkt, welch große Haftung Ministerpräsidenten für die Landesbanken auf sich luden und dementsprechend blechen durften, müsste Wulff im Nachhinein zum Ministerpräsidenten des Jahrzehnts und zum Bundespräsidenten a. L. h. c. (auf Lebenszeit honoris causa) ernannt werden.

Stattdessen gibt es jetzt Diskussionen, ob ihm überhaupt ein Ehrensold zusteht. Dabei müsste eher diskutiert werden, ob Politiker ausreichend bezahlt werden. Vielleicht geht es nicht mal so sehr um Bezahlung. Es wäre schon geholfen, wenn jeder Spitzenpolitiker eine Kreditkarte bekommt. Dann müssten nicht dauernd Leute aus der Film- oder Finanzwirtschaft erst die Kohle auslegen, um sie dann vom Politiker vor Ort oder im Nachhinein bar zu bekommen. Ganz abgesehen von den Risiken, ständig x tausend Euro in der Hosentasche zu haben, weil überall irgendwer irgendwas vorgestreckt hat. Mensch, hätte Wulff doch einfach nur immer Angela Merkel beim Wandern in Südtirol begleitet! So aber bedauert die Kanzlerin den Rücktritt zutiefst. Weil es ab jetzt auch für sie gefährlich wird. Denn mit jedem neuen Vorwurf gegen Wulff stiegen ihre Umfragewerte. Je lächerlicher und zahlreicher die vermeintlich geldwerten Vorteile für die Wulffs, umso lockerer toppte Angie ihre Allzeithochs in Sachen Beliebtheit. Wenn Wulff weg ist, gilt sie womöglich wieder bald als Aussitzerin, die sehenden Auges bodenlose Fässer in Südeuropa abdichten will.

Mitleid hingegen verdient Wulff, weil auch Rösler und Westerwelle ihm Respekt zollten für seine tolle Amtsführung. Wenn die oberste Luftikus-Armada der Bundespolitik sich schon auf seine Seite schlägt, muss auch ein Wulff einsehen: Es ist Zeit zu gehen. Alles andere wäre auch zu teuer geworden. Auf bis zu 4000 Euro pro Tag werden die Anwaltskosten für Wulff beziffert. So oft kann man gar nicht auf Sylt oder sonst wo gratis übernachten, um solche Ausgaben zu kompensieren.
Die Staatsanwaltschaft indes stürzt sich auf die Tagebücher von Wulffs Ex-Sprecher. Einige Filmproduzenten bekunden bereits Interesse, die Tagebücher zu verfilmen. Notfalls auch ohne Bürgschaft aus Niedersachsen.

(Mit der 100. Kolumne von Django Asül endet diese Serie. Wöchentliche Kolumnen von Django Asül gibt es aber für Interessierte hier auf seiner Website und auf Facebook.)

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