Das Jahr 2020 wird sich in die Geschichtsbücher einbrennen.
Gewissheiten sind implodiert. Selbstverständlichkeiten sind erodiert.
Perspektiven sind pulverisiert. Historiker sind sich einig: Nichts
wird wie vorher sein nach diesem 0-6 gegen Spanien. Zeitgleich
schlagen die DFB-Nachwuchstrainer Alarm. U21-Coach Stefan Kuntz
vermeldet: „Die Mannschaft“ braucht nicht auf Neuzugänge aus den
jüngeren Semestern hoffen. Die Buben sind alle anderweitig
beschäftigt. Führerschein, Tiktok, zeitgemäße Frisuren – all das geht
an die Substanz. Und dazu die Aussicht, in leeren Stadien auf der
Ersatzbank zu sitzen. Und da fordern tatsächlich sogenannte kritische
Stimmen, die DFB-Spitze möge doch bitte den Bundestrainer ablösen? Das
wäre sinnloser Aktionismus. Denn die Zeiten, wo der DFB sich noch eine
Spitze leistete, sind lange vorbei. Nach dem Abgang eines gewissen
Mayer-Vorfelder rückte das Leistungsprinzip aus dem Fokus des
Verbandes. Die Spätfolgen von „MV“ und seiner Konzentration auf das
Fußballerische führten zu den grandiosen WM-Erfolgen 2010/14. Kann man
es da einem Theo Zwanziger verdenken, dass er den DFB zu einer NGO a
la „Alles außer Fußball“ umbauen wollte? Dass ein Niersbach nach dem
Motto „Überfordert und Spaß dabei“ agierte? Oder dass sich Oliver
Bierhoff einen Namen machte als Kampagnenmaschine und
Matratzen-Aussucher? Es lief ja alles wie von selbst, weil Jogi Löw
eine Idee hatte. Jetzt ist die Idee weg – aber Jogi ist immer noch da.
Warum auch nicht? Wenn eine Kanzlerin über 15 Jahre Deutschland in
einen gemächlichen Dämmerzustand versetzen darf auf Wunsch der Wähler,
wäre es unfair, Jogi abzuservieren. Vor Merkel hatte ja schon Helmut
Kohl das Aussitzen zum Prinzip erhoben. Und Jogi selber will ja auch
bleiben. Irgendwie. Überhaupt war das Fehlen von Kimmich schuld an dem
0-6. Ohne Kimmich gewinnt nämlich auch der FC Bayern meist nur noch
3-1 statt 4-0 - falls es nicht gegen Spanier (Atletico Madrid letzte
Woche!) geht. Es gab einst einen reibungslosen Übergang von Sepp
Herberger zu Jogi Löw. Unterbrochen vom Intermezzo des Kaisers 1990.
Das gehört honoriert. Denn Kontinuität ist in rastlosen Zeiten ein
Wert an sich - wenn auch ein wertloser. Irgendwie.