07.12.2020 17:32
kicker Abpfiff – Dezember 2020
Kolumne im kicker vom 07.12.2020

 

Das Jahr 2020 wird sich in die Geschichtsbücher einbrennen.  
Gewissheiten sind implodiert. Selbstverständlichkeiten sind erodiert.  
Perspektiven sind pulverisiert. Historiker sind sich einig: Nichts  
wird wie vorher sein nach diesem 0-6 gegen Spanien. Zeitgleich  
schlagen die DFB-Nachwuchstrainer Alarm. U21-Coach Stefan Kuntz  
vermeldet: „Die Mannschaft“ braucht nicht auf Neuzugänge aus den  
jüngeren Semestern hoffen. Die Buben sind alle anderweitig  
beschäftigt. Führerschein, Tiktok, zeitgemäße Frisuren – all das geht  
an die Substanz. Und dazu die Aussicht, in leeren Stadien auf der  
Ersatzbank zu sitzen. Und da fordern tatsächlich sogenannte kritische  
Stimmen, die DFB-Spitze möge doch bitte den Bundestrainer ablösen? Das  
wäre sinnloser Aktionismus. Denn die Zeiten, wo der DFB sich noch eine  
Spitze leistete, sind lange vorbei. Nach dem Abgang eines gewissen  
Mayer-Vorfelder rückte das Leistungsprinzip aus dem Fokus des  
Verbandes. Die Spätfolgen von „MV“ und seiner Konzentration auf das  
Fußballerische führten zu den grandiosen WM-Erfolgen 2010/14. Kann man  
es da einem Theo Zwanziger verdenken, dass er den DFB zu einer NGO a  
la „Alles außer Fußball“ umbauen wollte? Dass ein Niersbach nach dem  
Motto „Überfordert und Spaß dabei“ agierte? Oder dass sich Oliver  
Bierhoff einen Namen machte als Kampagnenmaschine und  
Matratzen-Aussucher? Es lief ja alles wie von selbst, weil Jogi Löw  
eine Idee hatte. Jetzt ist die Idee weg – aber Jogi ist immer noch da.  
Warum auch nicht? Wenn eine Kanzlerin über 15 Jahre Deutschland in  
einen gemächlichen Dämmerzustand versetzen darf auf Wunsch der Wähler,  
wäre es unfair, Jogi abzuservieren. Vor Merkel hatte ja schon Helmut  
Kohl das Aussitzen zum Prinzip erhoben. Und Jogi selber will ja auch  
bleiben. Irgendwie. Überhaupt war das Fehlen von Kimmich schuld an dem  
0-6. Ohne Kimmich gewinnt nämlich auch der FC Bayern meist nur noch  
3-1 statt 4-0 - falls es nicht gegen Spanier (Atletico Madrid letzte  
Woche!) geht. Es gab einst einen reibungslosen Übergang von Sepp  
Herberger zu Jogi Löw. Unterbrochen vom Intermezzo des Kaisers 1990.  
Das gehört honoriert. Denn Kontinuität ist in rastlosen Zeiten ein  
Wert an sich - wenn auch ein wertloser. Irgendwie.

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