11.08.2014
kicker Abpfiff - August 2014
Kolumne im kicker vom 04. August 2014

Ein Weltmeistertitel hat etwas Befreiendes. So ziemlich alles kann entspannter angegangen werden. Neue DFB-Choreographien sind längst einstudiert und vorgeführt. Der Übergang von Volksmusik zu Gaucho-Huldigungen ist neuerdings fließend. Zumindest in der Darbietung restalkoholisierter Weltmeister. Diese neue Leichtigkeit ist das Resultat von zehn Jahren harter Arbeit. Jürgen Klinsmanns Revolution seit 2004 wirkte auf den ersten Blick verstörend. Im Nachhinein wurde er jedoch bestätigt. Für jeden Muskel wurde ein Spezialtrainer verpflichtet. Gummibänder waren nicht mehr Bestandteil der weiblichen Pausenbewältigung auf Schulhöfen, sondern dienten der Stabilisierung des deutschen Fußballverstandes. Dass dieser Klinsmann nun die USA mit den gleichen Methoden auf Vordermann bringt, lässt im Prinzip jetzt schon auf einen Weltmeister USA im Jahre 2022 schließen.
Da es in Katar eine ultrahocherhitzte WM wird, dürfte Klinsi jetzt schon auf eisgekühlte Gummibänder setzen. Und für die perfekte physische und psychische Vorbereitung auf die extremen Bedingungen werden spätestens beim Confed-Cup Afghanistan-erprobte US-Söldner das Konditionstraining übernehmen.

Beim DFB geht es da nicht ganz so martialisch zu. Nach dem WM-Finale gab es das übliche Rahmenprogramm: Die Kanzlerin schaut in der Dusche vorbei. Teammanager Bierhoff überlegt sich, wie man die Lufthansa-Maschine beschriften sollte. Trainer Löw überlegt sich, ob er weitermacht oder nicht. Boss Niersbach überlegt sich, wie er Löw zum Weitermachen überreden kann. Diese Beschaulichkeit hat seinen Grund. Die nächste Garde steht immerhin schon bereit. Siehe U19-Europameisterschaft. Da lässt sich der Umbruch locker angehen. Es werden schließlich einige Plätze frei: Lahm will lieber nochmal Champions League Gewinner sein statt Europameister. Khedira kriegt aufgrund abstruser Gehaltsforderungen womöglich weder Ligaeinsätze bei Real noch einen neuen Verein. Özil soll angeblich schon überlegen, sich komplett ins Internet zurückzuziehen. Zudem haben Boateng und Hummels bewiesen: Es geht auch ohne Außenverteidiger, wenn die Innenverteidigung so bombastisch steht. Das war vielleicht die größte Offenbarung dieser WM. Mats und vor allem Jérôme galten als unsichere Kantonisten, die bei gegnerischen Angriffen sich gern mal Gedanken machten über den nächsten Kopfhörer (Boateng) oder das nächste tiefgründige Interview der Freundin (Hummels). Und jetzt schicken sich auch noch RB Leipzig und der Sohnemann von Mehmet Scholl an, Stammspieler in der Bundesliga zu werden. Quasi Red Bull statt Sojalatte.
Es sei eine Prophezeiung gewagt: Deutschland wird auch Europameister.
Und nach dem EM-Finale singt Cathy Fischer statt Helene Fischer.

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