07.06.2019 10:27
Eine neue Tugend im Land: Fremdscham
Kolumne im Donaukurier vom 07. Juni 2019

Eine neue Tugend zeichnet sich ab im Lande: Fremdscham. Diesen Trend setzte zuallererst die Union, als sie vor einigen Jahren begann, sich für die Parteivorsitzende Merkel zu schämen. Die CSU hingegen war froh, eine eigene Partei zu sein – und sich sicher, dass so eine Persönlichkeit in der CSU nie hätte eine tragende Rolle bekommen. Dann kam irgendwann ein Kevin Kühnert und schämte sich für die Führung der SPD, weil sie vom Bundespräsidenten Steinmeier gezwungen wurde, die Große Stillstandskoalition mit der Union fortzusetzen. In der Fremdscham-Rangliste von 0 auf 100 schoss dann Greta, weil sie sich gleich für den ganzen Planeten schämte. Woraufhin sich viele Schüler für ihre Eltern und Lehrer schämten, weil diese doch glatt der Meinung waren, dass der Freitagvormittag auch als Schultag denkbar wäre.
Weshalb sich irgendwann auch die Eltern für ihr eigenes bisheriges Mobilitätsverhalten schämten und einige sich vornahmen, in Zukunft Flugreisen nur noch mit der Bahn zu unternehmen. Und das Auto bestenfalls noch bei Strecken jenseits von 300 Metern. Natürlich schämten sich da schon längst ziemlich viele Politiker für das Verhalten der Automobilindustrie. Weshalb sich die Autobauer wiederum schämten für die Volksvertreter ob deren Naivität bezüglich einer sehr lückenhaften Elektrifizierungsstrategie.
In diesem Großszenario geriet die SPD immer mehr unter Druck. Denn erstmals seit Jahrzehnten scheint der Wähler nicht mehr gewillt zu sein, panisches Um-sich-selber-Kreisen nicht mehr automatisch zu belohnen. Und so nahm sich die SPD vor, eine neue Kategorie einzuführen:
Sie schämte sich nicht nur für Andrea Nahles. Die Parteichefin war der Partei auch noch peinlich. Das ist natürlich ein Stück weit unfair. Weil halt nun mal nicht jeder Politiker so grazil wie ein Markus Söder oder so elegant wie ein Hubert Aiwanger auftreten kann. Als Erster hat das tatsächlich Kevin Kühnert begriffen. Denn der schämt sich jetzt nicht mehr für Nahles, sondern für die SPD wegen ihres Umgangs mit Nahles. Womit er eindrucksvoll bestätigt, dass Prinzipienlosigkeit durchaus ein Prinzip sein kann.
Das alles kann Andrea Nahles zum Glück egal sein. Sie kann sich nun aussuchen, welchen hochdotierten Job in der freien Wirtschaft sie nun anpacken will. Wer von Ätschibätschi bis In-die-Fresse-Hauen die komplette Klaviatur beherrscht, hat freie Auswahl. Möglich ist alles:
Von stellvertretender Kita-Leiterin bis zur Türsteherin.

 

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