donaukurier
Lesen statt Malen
Kolumne im Donaukurier, in der Mittelbayerischen Zeitung und der Passauer Neuen Presse vom 01.03.2024
Die Zahl der Schulpflichtigen, die Buchstaben nicht von Zahlen unterscheiden können, hat sich laut PISA-Studie vervielfacht. Mathematische Grundregeln werden nur noch als grobe Empfehlung wahrgenommen, weil alles nur noch der subjektiven Empfindung unterliegt. Und die Rechtschreibung gilt als Relikt aus bornierten Zeiten. Hört man sich in konservativen Kreisen rum, liegen die Gründe auf der Hand: Das dringend für mehr Buchstaben und korrekte Zahlen benötigte Geld fließt in Fahrradwege in Peru und in die Rückabwicklung dringend benötigter Atomkraftwerke. Doch Bayern wäre nicht Bayern, würde sich die Bayerische Staatsregierung nicht besonders kreativ zeigen im Finden brauchbarer Lösungsansätze im Kampf gegen den Bildungsnotstand. Nicht umsonst gönnt sich der Freistaat eine völlig frische Kraft als Bildungsministerin: Anna Stolz, ihres Zeichens aus dem Stall von Hubert Aiwanger und damit aus Sicht von Markus Söder so was wie eine freie Radikale. Als Juristin war sie einst am Verwaltungsgericht in Kassel und dann in einer Düsseldorfer Kanzlei im Einsatz. Will heißen: Diese Frau geht Zoff nicht aus dem Weg, sondern hat ihren Spaß daran. Was sie natürlich prädestiniert für einen Einsatz im Team Aiwanger. Jedenfalls hat Frau Stolz dienstlich nachweislich schon viel mit Zahlen und Buchstaben zu tun gehabt.
Von daher ist ihr aktueller Aufschlag in Sachen Grundschulreform nicht ganz ohne. Ihre These lautet: Wenn die Kinder weniger singen, malen und basteln, können sie bald besser lesen, schreiben und rechnen. Genau genommen sollen die Fächer Musik, Werken und Kunst zusammengelegt werden. Das wird auch beim Ministerpräsidenten Zustimmung finden. Denn singen kann man unter der Dusche, malen im Schulbus und basteln in der Freizeit. Während schreiben unter der Dusche, lesen im Schulbus und rechnen in der Freizeit eher Hochqualifizierten vorbehalten ist. Dass darüber hinaus auch weniger Englisch in der Grundschule stattfinden soll, ist erst recht nachvollziehbar. Schließlich tun sich ja die immer zahlreicher werdenden Neuschüler aus fremden Gefilden mit der deutschen Sprache schwer genug. So pragmatisch wie die neue Bildungsministerin agiert, dürfte bald auch folgende Regelung in Kraft treten: Altdeutsche Schüler bringen neudeutschen Schülern Deutsch bei. Weil die Lehrkräfte erst mal lernen müssen, wie man beim Singen malt.