donaukurier
Bahn frei
Kolumne im Donaukurier, in der Mittelbayerischen Zeitung und der Passauer Neuen Presse vom 26.01.2024
Der Kanzler macht das, was auch Normalsterbliche gern mal Anfang eines Jahres machen: Er schaut, was er so alles angestellt hat im letzten Jahr. Und was für Folgen das für die Gesellschaft hat. Das passt auch zu seiner unaufgeregten Art. So manches Mal lief es wohl nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte. Beispielsweise versuchte er mitsamt seinem Kabinett aufrichtig, die Stimmung im Volk zu heben mit Hauruckaktionen wie Heizungsgesetz, Streichung von zugesagten Förderungen oder Verteuerung von Energie. Das hat nicht unbedingt zur Gründung neuer Olaf-Scholz-Fanclubs geführt. Dabei war das eine nachvollziehbare Reaktion auf den Arbeitskräftemangel. Wenn es keine Arbeitskräfte gibt, muss eine Politik her, die die Firmen eben dorthin vertreibt, wo es Arbeitskräfte gibt. Zumal es ja keinen Sinn macht, Arbeitskräfte zu holen, wenn die dann wiederum nicht wissen, wo sie wohnen sollen. Aber Undank ist der Welten Lohn. Und deshalb nimmt Scholz, wie er dieser Tage in einem Interview verraten hat, eine „unruhige Stimmung“ und „größere Gereiztheit“ im Lande wahr. Höchste Zeit also, dass alle Beteiligten wieder mal runterkommen.
Dazu trägt der neueste Streik der Bahngewerkschaft GDL bei. Einfach mal ein paar Tage innehalten, bis der Ruhepuls wirklich ruhig ist. Denn so wird auch die Deutsche Bahn als Ganzes wieder deutlich berechenbarer. Ohne Streik ist die Gesellschaft schnell überfordert mit Fragen wie: Geht der Zug wie geplant und komme ich dadurch pünktlich in die Arbeit? Oder ist der Fahrplan eher eine unverbindliche Absichtserklärung? Bis wann erfährt man, ob der Zug überhaupt einsatztauglich ist und ob ein schneller Wechsel des Fortbewegungsmittels, des Arbeitsgebers oder des Kontinents Sinn macht? Und was wird aus den eigenen Lebensplänen, wenn nicht wie sonst die Lokführer, sondern urplötzlich die Schaffner streiken?
Ein bisschen Dankbarkeit gegenüber GDL-Boss Weselsky ist daher angebracht. Wenn kein Zug fährt und auch kein Auto (weil Stau wegen Bahnstreik), kippt die von Scholz festgestellte unruhige Stimmung sehr schnell ins Ruhige. Weselsky beweist durch seine Streikfreudigkeit ein gewisses Faible für Ruhe. Und er ist CDU-Mitglied seit 2007. Sehr wahrscheinlich ist er also ein Angela-Merkel-Fan. Das wäre eine mögliche Antwort auf die Frage: von wem hat er so gut gelernt, ein Land lahm zu legen?